Einfachheit und Komplexität…

… wechseln sich im Leben anscheinend immer wieder ab. Der Alltag als Krebs-/Schwer-/Dauer-/Berufskranker war ja irgendwie sehr einfach. Die tägliche Struktur wurde durch den immer gleichen Ablauf im Krankenhaus vorgegeben: Morgens zwischen 7 und 8 Uhr wiegen, die sogenannten Vitalzeichen (Puls, Blutdruck, Körpertemperatur) messen, ein paar stets gleichlautende Fragen zum allgemeinen Befinden beantworten. Dann kommen das beliebte und nahrhafte Frühstücksmenü der Klinik und irgendwann die erste Blutabnahme. Je nach aktuellem Stand der Therapie gab es abends noch eine weitere. Die schon mal gern von den ÄrztInnen vergessen wurde. Auch die anderen Mahlzeiten hatten ihre mehr oder weniger feste Uhrzeit, es sei denn, auch dabei wurde man mal vergessen. Kommt vor. Als Patient auf einem isolierten Einzelzimmer ist man wohl abseits und unbequem genug, dass das durchaus passieren kann. Ansonsten waren Untersuchungen auf anderen Stationen abgesehen von der frühen Behandlungs eher eine Ausnahme und als sonstige Abwechslungen blieben nur Besuche als die Höhe- und schlechtes Befinden als entsprechende Tiefpunkte.

Die zwischendurch-Aufenthalte zuhause kann man auch nicht als Zeit ansehen, die in einer durchschnittlichen Weise verlebt wird. Keine Arbeit, sondern Krankheit. Die definiert einen und man definiert sich selbst darüber – ich zumindest immer wieder, das war sicher nicht gut, aber so ist es gekommen. Aus heutiger Perspektive wäre ich damit natürlich gern anders umgegangen. Aber das alles sagt sich jetzt leicht.

Mittlerweile sieht es zum Glück ein bisschen anders aus. Die normale Komplexität eines Erwachsenenalltags mit Jobs, Terminen, Organisationen und anderem Kram hat mich weitestgehend eingeholt. Das tut dem Selbstbewusstsein gut und fördert Kompetenzen, die ich zwischenzeitlich verloren hatte. Aber es fordert auch viel. Sehr wahrscheinlich weniger als bei den meisten von euch. Aber trotzdem kann das Erwachsenenleben durchaus nerven. Auf Station war man in Watte gehüllt, eingeigelt, hatte den Kopf im Sand. Und man konnte sich immer auf seine Kranken-Position zurückziehen. Schwieriges Verhalten, das einem aber die meisten durchgehen lassen. Der junge Mann ist ja so schlimm krank. Also kümmerten sich andere, damit ich mich nicht kümmern muss, wie selbstverständlich.

Komplexität
Selbst die IT-Probleme, die man beim Heimkommen zu lösen hat, sind mittlerweile sehr viel komplexer geworden.

Versteht mich nicht falsch, ich wünsche mir meine Krankheit nichts zurück. Es ist eher so, dass ich meine frühere Einstellung zu meinem Krebs immer kritischer sehe, je normaler und durchschnittlicher ich meinen Alltag empfinde. Ratschläge und auch Vorwürfe anderer, denen mein Selbstmitleid und meine zeitweise Lethargie viel früher aufgefallen war, kann ich jetzt sehr gut verstehen. Hätte ich nur auf sie gehört. Dann wäre die Umstellung einfacher gewesen, und der Rückweg ins Leben 2.0 vielleicht kürzer und weniger beschwerlich. Aber es ist gelaufen, das heißt ich kann nur meine Lehren daraus ziehen und mir zumindest für die späte Einsicht auf die Schulter klopfen.